Über

Rainer  Georg Zehentner

„Stecken Sie Ihr Lebensziel so hoch wie möglich. Und leben Sie im Augenblick.“

„Warum schreiben Sie?“ Mein väterlicher Freund, der Schriftsteller August Kühn, antwortete auf diese Standardfrage von Journalisten stets kurz und knapp: „aus Einsicht in die Notwendigkeit“.

Kühn war Bayer. Jude. Kommunist. Die Notwendigkeit bestand für ihn darin, die Gesellschaft mit Literatur zum Positiven zu verändern. Damit scheiterte er. Ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod bezweifle ich, dass es überhaupt möglich ist, die Gesellschaft mit Literatur zum Besseren zu verändern.


Warum schreibe ich also? Nicht aus Einsicht in die Notwendigkeit. Ich verfolge keine Bildungsziele. Ich will nur unterhalten und von Menschen erzählen. Denn Menschen sind das Schönste, über das ich erzählen kann. Sie stehen im Zentrum meiner Achtsamkeit. Sie. Mit ihren Leiden, Stolpersteinen, kleinen Erfolgen.

Eine gute Geschichte bereitet zweifach Freude: Freude denen, die erahnen mögen, dass es ihre ureigene Sache ist, die da verhandelt wird. Und Freude dem, der sie erzählt. Das ist geistiger Reichtum. Ich schreibe, weil es mich reich macht, weil es eine Freude ist, aus der Fülle des Lebens zu schöpfen. Das ist ein Gesetz der geistigen Welt: Je mehr du gibst, desto reicher bist du.

Literatur ist nicht einfach. Es ist ja auch nicht einfach, auf einem Klavier oder einer Violine zu spielen. Ich bin kein Musiker. Trotzdem dreht sich mein Leben um ein großes Instrument: die Sprache. Ein jeder versteht sie. Denkt man. Und ein jeder benutzt sie. Denkt man. Glauben Sie nur nicht alles, was Sie so denken!

„Schreiben Sie nur das, was Sie wirklich sagen wollen. Überflüssige Wörter lassen Sie weg.“

Ein jedes Kind kann mit seinen Fäustchen auf die Tasten eines Klaviers hämmern. Ein jedes Kind kann eine Geschichte schreiben. Das Ergebnis wird nicht beglücken. Denn wie ein Musikinstrument will auch Dichtersprache erlernt und eingeübt werden. Das dauert. (Ich habe zwanzig intensive Jahre mit Üben verbracht). Als ich mit dem Üben begann, riet mir die Schriftstellerin Luise Rinser: „Schreiben Sie nur das, was Sie wirklich sagen wollen. Überflüssige Wörter lassen Sie weg.“


Die Schlichtheit dieses Rats enttäuschte mich. Heute weiß ich: Es war der beste Rat, den mir jemand gegeben hat.

Hilfreich beim Schreiben ist es natürlich, wenn man Talent hat. Habe ich Talent? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich sehr lange brauchte, um besser zu werden. Denn ich schreibe in einer Fremdsprache: Hochdeutsch. Meine Muttersprache ist Bairisch. 


Aber auch in Hochdeutsch macht es mir Spaß, Geschichten zu hören, Geschichten zu erzählen, mir Geschichten auszudenken. Das ist mein Antrieb. Ich folge dem Lustprinzip. So zu leben, ist ein Segen.

Was kann der Mensch tun, um gesegnet zu sein?

Der kanadische Psychoanalytiker Jordan Peterson gibt uns folgenden Rat: „Stecken Sie Ihr Lebensziel so hoch wie möglich. Und leben Sie im Augenblick.“

Das tue ich, wenn ich Literatur schreibe.

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